Hintergrund: In Deutschland werden 70% der Menschen mit Demenz (MmD) zu Hause von einem pflegenden Angehörigen (pA) gepflegt[1]. Durch die zunehmende Pflegebedürftigkeit der MmD im Verlauf der Erkrankung sind pA einem erhöhten Belastungs- und Stressrisiko ausgesetzt[2]. Unterstützungsleistungen können pA in der Pflegesituation gezielt entlasten3. Damit eine gezielte Unterstützung der pA entsprechend ihrer Bedarfe stattfinden kann, ist ein Wissen um die Beurteilung solcher Angebote essenziell.

Fragestellung: Ziel dieser Untersuchung ist es, eine vergleichende Analyse der Bewertung der Bedeutung von Unterstützungsleistungen für pA gegenüber professionellen Demenzexpert*innen (pD) vorzunehmen.

Methode: Im Rahmen des Forschungsprojekts „Digitales Demenzregister Bayern – digiDEM Bayern“ wurde eine Online-Umfrage durchgeführt. Die Umfrage diente als Grundlage für die Entwicklung eines Instruments zur Bedarfsanalyse. Die Datenerhebung erfolgte anonym. Die Teilnehmer wurden gebeten, Informationen über das Geschlecht, den Hintergrund, die Jahre der Erfahrung in der Demenzpflege und die Postleitzahl anzugeben. Anschließend sollten die Experten 44 verschiedene Unterstützungsleistungen nach der Relevanz für die Demenzversorgung auf einer Skala von eins (nicht wichtig) bis zehn (wichtig) bewerten.

Ergebnisse: 30 pA und 29 pD nahmen an der Umfrage teil. Die durchschnittliche Erfahrung mit dem Krankheitsbild Demenz betrug 12,69 Jahre. 66% der Teilnehmenden waren weiblichen Geschlechts. Signifikante Gruppenunterschiede konnten bei den Angeboten „Angehörigengruppe/Selbsthilfegruppe“ (M(pA)=5,97; M(pD)=7,83; p=0,013, r=0,665), „Ambulante Pflege“ (M(pA)=7,7; M(pD)=9,03; p=0,016, r=0,651), „Angebote zur Unterstützung im Alltag (z.B. Helferkreis, Betreuungsdienst, Nachbarschaftshilfe)“ (M(pA)=7,27; M(pD)=8,69; p=0,022, r=0,614) und „Bereitstellung von Hilfsmitteln“ (M(pA)=9,0; M(pD)=7,97; p=0,043, r=-0,534) festgestellt werden.

Diskussion: Unterstützungsleistungen können pA im Rahmen der Pflege entlasten[1]. Gleichwohl zeigt sich in internationalen Studien, dass die Nutzungsraten häufig trotz ausreichendem Angebot niedrig sind[2],[3]. In dieser Hinsicht können niedrige Nutzungsraten ein Hinweis auf ein Missverhältnis zwischen den angebotenen und den von MmD und deren pA benötigten Leistungen sein[5]. Zudem zeigte sich, dass die pA den überwiegenden Teil der Unterstützungsleistungen als unwichtiger bewertet haben als die pD. Dies könnte in Anlehnung an eine Studie von Brodaty et al. darauf hindeuten, dass pA den eigenen Bedarf nach Unterstützung generell als niedriger einschätzen[4].

Praktische Implikationen: Für die gesundheitspolitische Versorgungsplanung ist es wichtig, dass die angebotenen Leistungen den tatsächlichen Bedarfen der MmD und deren pA entsprechen. Dazu sind empirische Daten zu den Bedarfen der MmD und deren pA hinsichtlich Unterstützungsleistungen notwendig. Nur eine bedarfsorientierte Versorgungsplanung kann die Nutzungsraten erhöhen und pA im Rahmen der Pflege gezielt entlasten.

Literaturverzeichnis:

[1] Zwingmann I, Hoffmann W, Michalowsky B et al. Offene Versorgungsbedarfe pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz. Der Nervenarzt 2018; 89: 495-499
[2] Graessel E, Behrndt EM. Belastungen und Entlastungsangebote für pflegende Angehörige. In: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A, Hrsg. Pflege-Report 2016 Schwerpunkt: Die Pflegenden im Fokus. Stuttgart: Schattauer; 2016:169-189
[3] Karrer L, Dietzel N, Wolff F et al. [Use of Outpatient Care Services by People with Dementia: Results of the Bavarian Dementia Survey (BayDem)]. Gesundheitswesen 2019, DOI: 10.1055/a-1071-7851
[4] Lethin C, Leino-Kilpi H, Roe B et al. Formal support for informal caregivers to older persons with dementia through the course of the disease: an exploratory, cross-sectional study. BMC Geriatr 2016; 16: 32
[5] Phillipson L, Jones SC, Magee C. A review of the factors associated with the non-use of respite services by carers of people with dementia: implications for policy and practice. Health Soc Care Community 2014; 22: 1-12

2021-10-06_DKVF_Unterstuetzungsleistungen_NDI_FINAL

Vortrag vorgestellt auf dem 20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung am 06.10.2021

Nikolas Dietzel, Lara Kürten, Sebastian Meuer, Dorothee Klaas-Ickler, Markus Hladik, Christina Chmelirsch, Elmar Gräßel, Peter L. Kolominsky-Rabas

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