In den USA wurde ein neues Medikament zugelassen – und löste damit eine weltweite Kontroverse innerhalb der Alzheimer-Forschung aus. Denn 10 von 11 Gutachter*innen haben das Medikament zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung abgelehnt. Die Demenzgruppe des Cochrane Instituts gibt einen kurzen Überblick über die Beweislage von Aducanumab.
Lange Zeit gab es keine neuen Medikamente zur Bekämpfung von Alzheimer mehr, die den Gesundheitsmarkt erreicht haben. Dies änderte sich mit der beschleunigten Zulassung von Aducanumab im Juni 2021 in den USA. Zugleich löste die Zulassung aufgrund der unsicheren Evidenz (d.h. des wissenschaftlichen Nachweises über den Nutzen und die Wirksamkeit) und Lobbyismusvorwürfen eine große Kontroverse aus. Jenny McCleery von der gemeinnützigen Cochrane Dementia Gruppe und Terence Quinn von der Universität Glasgow geben eine objektive Einschätzung bezüglich der Evidenz des Medikamentes.
Wie kam es zu der beschleunigten Zulassung?
Zunächst sollten zwei große Studien die Wirksamkeit des Medikamentes des Unternehmens Biogen überprüfen. Ziel war die Verbesserung der Symptomatik gemessen über einen Fragebogen. Allerdings wurden diese Studien bereits während der Durchführung abgebrochen, da kein Nutzen erkennbar war und auch nicht zu erwarten sei. Biogen analysierte die erhobenen Daten dennoch und konnte signifikante Unterschiede zwischen den Teilnehmenden in einer der beiden Studien nachweisen (wobei nach Ansicht der Cochrane Gruppe die Unterschiede sehr gering und nicht klinisch relevant seien). Ein externes Expertengremium lehnte beinahe einstimmig die Zulassung ab (10/11 dagegen, 1 unsicher).
Dennoch erhielt das Medikament eine beschleunigte Zulassung in den USA. Die Entscheidung basierte auf einem sogenannten Surrogatmarker und nicht mehr auf einer Verbesserung in den Symptomen der Patient*innen. Ein Surrogatmarker ist ein klinischer Messwert, der als Ersatz für einen sogenannten patientenrelevanten Endpunkt, wie beispielsweise die Verbesserung der Symptomatik, ermittelt wird. Hintergrund ist, dass sich Surrogatmarker oft leichter bestimmen lassen. Gleichwohl bleibt bei Surrogatmarkern häufig fraglich, worin letztlich der Mehrwert des Medikaments für die Patient*innen liegt. Im Falle von Aducanumab reduziert das Medikament die typischen Eiweiß-Ablagerungen (Beta-Amyloid-Plaques) im Gehirn, die bei einer Alzheimer Erkrankung vermehrt auftreten. Die Zulassung ist an die Bedingung geknüpft, dass weitere Studien den Nutzen bestätigen sollen. Dafür hat Biogen neun Jahre Zeit.
Evidenzbewertung durch Cochrane
Die Entscheidung basiert somit auf der grundlegenden Annahme, dass Eiweißablagerungen eine zentrale Rolle in der Entstehung von Alzheimer spielen. Die Autor*innen der Cochrane Gruppe weisen allerdings darauf hin, dass diese Annahme viel zu vereinfacht sei. Dabei verweisen sie auf eine Meta-Analyse und eine Studie, die zeigten, dass die Reduktion von Eiweißablagerungen keinen Nutzen für die Entstehung und Symptomatik von Alzheimer habe. Auch betonen die Autor*innen die Nebenwirkungen und hohen finanziellen Kosten von Aducanumab. Die Patient*innen hatten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Hirnschwellungen und mussten sorgfältig und regelmäßig durch bildgebende Verfahren überwacht werden. Dies wäre in der Praxis auch notwendig.
Zusammenfassend ist die Evidenz für Aducanumab sehr unsicher, da die zugrundeliegenden Studien widersprüchliche Ergebnisse zeigten. Auch ist es höchst ungewiss, dass sich die Reduktion von Eiweißablagerungen im Gehirn für die Patient*innen als nützlich erweist. Dennoch sind einige Forschende davon überzeugt, dass die Zulassung eine neue Möglichkeit für konkretere Forschung zur Eiweißreduktion darstelle. Andere fürchten wiederum ein zu hohes Risiko für die Patient*innen. In Deutschland ist das Medikament bisher nicht zugelassen.
Hier finden Sie die Studie: Aducanumab and the certainty of evidence (2021)
Bildquelle: MEDPAGE TODAY