Das neue Alzheimer-Medikament Lecanemab weckt bei Menschen mit Demenz und ihren pflegenden An- und Zugehörigen große Hoffnungen. Erst kürzlich hat ein Fachgremium der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) den neuen Wirkstoff für die Behandlung empfohlen – verbunden mit strengen Auflagen. Doch welche Patientengruppen erfüllen die Bedingungen für eine Behandlung mit Lecanemab? Dies haben die Forschenden des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM Bayern) berechnet. Sie erläutern auch, wer für die Behandlung mit Lecanemab infrage kommt.
Der neue Wirkstoff Lecanemab ist ein „monoklonaler Antikörper“ und richtet sich gezielt gegen fleckförmige Einweißablagerungen im Gehirn, die sogenannten Beta-Amyloid-Proteine. Diese werden mit der Zerstörung von Nervenzellen in Verbindung gebracht.
In der EU empfohlen, aber noch nicht zugelassen
Bereits im Jahr 2023 hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde (FDA) Lecanemab (Handelsname Leqembi) zugelassen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hingegen hatte einer Freigabe zunächst nicht zugestimmt. Erst am 14. November 2024 sprach der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA nach einem erneuten Prüfverfahren die Empfehlung aus, dass Lecanemab unter Auflagen verordnet werden könne.
Wer kommt für die Behandlung infrage?
Lecanemab darf in Europa ausschließlich Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (Mild Cognitive Impairment, MCI) oder Menschen in einem frühen Stadium einer Alzheimer-Demenz verschrieben werden. Die Behandlung mit Lecanemab ist bei diesen Patientinnen und Patienten jedoch an strenge Maßgaben gebunden.
Die erste Bedingung für die Behandlung mit Lecanemab ist der Nachweis von Amyloidablagerungen im Gehirn. Dieser Nachweis kann durch die Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit (Lumbalpunktion) oder durch eine Amyloid-Positronenemissionstomographie (Amyloid-PET) erfolgen.
An die Verabreichung von Lecanemab hat die EMA noch eine weitere Bedingung geknüpft. Mit dem Medikament dürfen nur Menschen behandelt werden, die entweder keine oder höchstens eine genetische Kopie des sogenannten ApoE4-Gens aufweisen. Denn wer eine doppelte Kopie des ApoE4-Gens in sich trägt, hat bei einer Behandlung mit Lecanemab ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen, die sogenannten amyloidbedingten Bildgebungsanomalien (amyloid-related imaging abnormalities, ARIA). Diese können in Form von Hirnödemen (Hirnschwellungen) oder Blutungen des Gehirns auftreten.
Erste Abschätzungen für Deutschland
Das digiDEM Bayern-Forschungsteam um Jana Rühl hat auf Grundlage internationaler Studien Abschätzungen zu den Patientengruppen errechnet, die grundsätzlich für eine Behandlung mit Lecanemab in Frage kommen. Demnach gibt es in Deutschland insgesamt 3.623.661 Menschen ab 60 Jahren, die mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen leben. Nach Auswertung der Datenquellen ist davon auszugehen, dass 2.102.603 Personen aus dieser Gruppe Amyloidablagerungen aufweisen. 2.914.656 Menschen mit MCI hingegen tragen maximal eine Kopie des ApoE4-Gens in sich.
Anders gestalten sich die Anhaltszahlen für die 593.296 Menschen in Deutschland, die mit einer leichten Alzheimer-Demenz leben und 60 Jahre oder älter sind. Von diesen haben 478.864 Personen Amyloidablagerungen. Die Anzahl derjenigen Menschen mit einer leichten Alzheimer-Demenz, die zusätzlich maximal eine Kopie des ApoE4-Gens haben, liegt bei 493.855 Personen.
Situation der Betroffenen in Bayern
Die digiDEM Bayern-Forschenden haben auch abgeschätzt, wie sich die Situation der Betroffenen in der Gruppe der ab 60-Jährigen in Bayern darstellt. Von bayernweit insgesamt 541.825 Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen ist bei 313.406 Personen von Amyloidablagerungen auszugehen. Von den 541.825 haben 404.776 maximal eine Kopie des ApoE4-Gens.
Analysiert wurde auch, inwiefern die 87.997 in Bayern lebenden Menschen mit einer leichten Alzheimer-Demenz von Amyloidablagerungen betroffen sind. Diessind 71.049 der Menschen, die 60 Jahre oder älter sind, während bei 73.190 maximal eine Kopie des Apoe4-Gens vorliegt.
Hinsichtlich der konkreten Gesamtzahl der Patientinnen und Patienten, die die Voraussetzungen für eine Behandlung erfüllen, betont Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Neurologe und einer der Projektleiter von digiDEM Bayern: „Über die Anzahl der Betroffen in der Gesamtbevölkerung, bei denen gleichzeitig Amyloidablagerungen und das Risikogen ApoE4 vorliegen, gibt es keine wissenschaftlichen Studien.“ Er fasst zusammen: „Für die Behandlung mit Lecanemab kommt nur eine vergleichsweise kleine und eingeschränkte Personengruppe in Frage. Welche Patientinnen und Patienten Lecanemab erhalten können, bedarf grundsätzlich einer genauen Einzelfallprüfung.“
Für die Abschätzungen verwendete digiDEM Bayern folgende wissenschaftliche Datenquellen:
Statistisches Bundesamt (DESTATIS) (2024). Fortschreibung des Bevölkerungsstandes zum 31.12.2022.