Ein gesunder Lebensstil kann das Demenzrisiko deutlich senken – vor allem im mittleren Lebensalter zwischen 40 und 75 Jahren. Dieser Zusammenhang ist inzwischen gut erforscht. Doch wie erreicht man mit dieser weitreichenden wissenschaftlichen Erkenntnis die breite Gesellschaft? Dazu hat ein europaweites Netzwerk von Demenz-Forscher*innen ein Positionspapier erarbeitet.

Die Interdem-Forscher*innen um Jan Steyaert von der Universität Antwerpen betonen zunächst die große Bedeutung der veränderbaren Risikofaktoren für Demenz, die in den vergangenen Jahren in zahlreichen Studien untersucht wurde. Dazu zählen etwa Ernährung, Bewegung, Alkohol, Rauchen und Hörverlust. Die Autor*innen sehen angesichts der neuen Erkenntnisse die Möglichkeit, die Zahl künftiger Demenzerkrankungen durch einen vorbeugenden, “hirngesunden” Lebensstil deutlich zu verringern. 

Symbolgrafik: Menschenmenge

Neue Herausforderung im Demenz-Bereich

Die neue Herausforderung bestünde nun darin, das öffentliche Bewusstsein für die Hirngesundheit zu stärken, Strategien zur Förderung eines entsprechenden Lebensstils zu entwickeln und der zunehmenden Ungleichheit im Gesundheitsbereich entgegenzuwirken. Eine Schwierigkeit dabei: die breite Masse für etwas zu motivieren, das erst in Zukunft, möglicherweise in 15-20 Jahren relevant wird. “Wie kann man Menschen dazu motivieren, in einen hirngesunden Lebensstil zu investieren, wenn die Vorteile noch Jahrzehnte entfernt sind?” fragen die Autor*innen.

Vergleich zum Rauchen

Mehrfach ziehen die Forscher*innen in ihrer Arbeit den Vergleich zum Rauchen: Es habe Jahrzehnte gedauert, bis die wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis über den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs ins öffentliche Bewusstsein gesickert sei. Kein Wunder also, dass viele Bürger*innen von den relativ neuen Erkenntnissen zur Demenz-Prävention derzeit noch kaum etwas mitbekämen. Das zeigt auch eine Studie, die in Flandern und in den Niederlanden durchgeführt wurde. In Flandern dachte nur gut ein Drittel der Befragten im Alter zwischen 40 und 75 Jahren, dass man durch seinen Lebensstil das Risiko für Demenz beeinflussen kann. In den Niederlanden lag dieser Anteil bei 44 Prozent. Allerdings zeigten 70 Prozent der Befragten Interesse an mehr Informationen über die Hirngesundheit. “Mangelndes Wissen war das Haupthindernis für Menschen, sich nicht auf einen hirngesunden Lebensstil einzulassen”, so die Interdem-Autor*innen. “Die Stärkung des öffentlichen Bewusstseins ist folglich ein erstes Ziel für jede Strategie zur Demenz-Prävention.”

Low-Budget-Kampagne stärkte das öffentliche Bewusstsein

Dass dieses Ziel erreicht werden kann, zeigt zum Beispiel eine Low-Budget-Kampagne, die von Sommer 2018 bis Frühjahr 2019 in Flandern lief. Dabei wurden 40.000 “Impfstoffboxen” an Bahnhöfen, Märkten und Apotheken verteilt. Die Boxen enthielten Broschüren über den Zusammenhang zwischen hirngesunder Lebensweise und Demenz. Zusätzlich wurde die Kampagne in den Nachrichten und sozialen Medien verbreitet. Den Forscher*innen zufolge konnte das öffentliche Bewusstsein über Demenz-Prävention dadurch um 10 Prozent erhöht werden. 

Wie kann nun eine Stärkung des öffentlichen Bewusstseins zur Demenz-Prävention konkret erreicht werden? Bei dieser Frage ziehen die Autor*innen erneut den Vergleich zum Rauchen – als Beispiel dafür, wie komplex die anstehende Herausforderung ist. Immerhin war der Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs eindeutig und kausal und die Botschaft einfach: Reduzieren Sie das Rauchen um Lungenkrebs vorzubeugen. Und dennoch rauchen nach jahrzehntelanger Aufklärung und zahlreichen Kampangen immer noch 20 Prozent der Erwachsenen, so die Autor*innen.

Botschaft ist komplexer als beim Rauchen

In Bezug auf die Risikofaktoren für Demenz sei die Botschaft weniger einfach, da es nicht eine einzelne Ursache gebe, sondern einen ganzen Korb von Faktoren, und die Kausalität schwächer sei als zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Notwendig sei eine einfache Botschaft, die leicht zu kommunizieren sei, ohne dabei die Komplexität außer Acht zu lassen. Generell empfehlen die Forscher*innen – anders als beim Rauchen – nicht auf Angst und Stigmatisierung zu setzen, auch, um die bestehende Stigmatisierung in Bezug auf Demenzerkrankungen nicht noch zu vergrößern.

Viele öffentliche Gesundheitskampagnen konzentrieren sich den Autor*innen zufolge auf den Einzelnen und fordern ihn zum Beispiel auf, weniger Alkohol zu trinken. Sie vergessen dabei aber, dass ein gesunder Lebensstil viele Komponenten beinhaltet und dabei individuelle, gesellschaftliche und Umweltfaktoren zusammenwirken. Ziel müsse es daher sein, Menschen durch Wissen zu stärken und gleichzeitig auf Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene hinzuwirken.

Ungleichheit als besondere Herausforderung

Vor diesem Hintergrund nennen die Forscher*innen das “Gesundheitsgefälle” und damit die Ungleichheit im Gesundheitsbereich als eine besondere Herausforderung: So zeigten Studien, dass in westlichen Ländern Menschen, die in Armut leben, sowie Einwanderer mit nicht-westlichem Hintergrund ein deutlich höheres Demenzrisiko haben. Genau diese Gruppen seien aber viel schwieriger durch Gesundheitskampagnen zu erreichen.

Den Schlüssel sehen die Autor*innen folglich darin, Gesundheitskampagnen auf die allgemeine Öffentlichkeit auszurichten, aber dabei auf verschiedene Formate zu setzen, um auch Hochrisiko- und schwer erreichbaren Gruppen anzusprechen. “Es ist nun an der Zeit, den Reichtum der Forschung des letzten Jahrzehnts in die Tat umzusetzen und eine hirngesunde Gesellschaft aufzubauen”, fordern die Autor*innen und rufen dazu auf, Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen beteiligten Gruppen aus Versorgung, Forschung und dem öffentlichen Gesundheitswesen. “Solche Brücken haben in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, die Zahl der Lungenkrebserkrankungen durch die Reduzierung des Rauchens zu senken, lassen Sie uns das auch für Demenz schaffen.”

Die Studie finden Sie hier:
Putting primary prevention of dementia on everybody´s agenda (Jun 2020)

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