Um Menschen mit Demenz und pflegende Angehörige zu unterstützen, werden digitale Angebote künftig immer wichtiger. Flexibel, unabhängig von Zeit und Ort, sicher in Zeiten von Corona – das sind die größten Vorteile. Doch bayerische Akteure im Demenz-Bereich schätzen die vorhandenen digitalen Angebote als eher unzureichend ein. Das zeigt eine Studie von digiDEM Bayern-Mitarbeiter Michael Reichold M.Sc.
Reichold, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medizinische Informatik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, und seine Kolleg*innen untersuchten, wie Leistungserbringer in Bayern die “Versorgungslandschaft” im Umfeld von Demenz beurteilen – sowohl die digitale als auch die klassische, nicht-digitale. Hintergrund sind die Planungen für das digiDEM Bayern-Online-Portal: Ein Ziel des Forschungsprojektes ist es, möglichst alltagstaugliche, hilfreiche digitale Angebote für Menschen mit Demenz und pflegende Angehörige bereit zu stellen. Damit diese passgenau für die Zielgruppe und ihre Bedürfnisse entwickelt werden können, war eine Bestandsaufnahme notwendig: eine Bewertung der vorhandenen bekannten Angebote durch Versorger aus dem Demenz-Bereich. Denn sie sind diejenigen, die zum einen regelmäßig mit den Betroffenen im Austausch und zum anderen mit der aktuellen Versorgungslandschaft vertraut sind.
Versorger aus allen sieben Regierungsbezirken befragt
Für seine Studie hat das digiDEM Bayern-Team zwischen Mai und Juli 2019 knapp 100 Leistungserbringer aus dem Demenz-Bereich befragt – anonym und online. Dazu zählten ambulante und stationäre Versorgungseinrichtungen sowie Landratsämter und ehrenamtliche Organisationen aus allen sieben bayerischen Regierungsbezirken. Die Teilnehmenden sollten Angebote aus fünf Kategorien beurteilen: Information, Beratung, Training, Austausch und Intervention. Zu jeder Kategorie gab es die Bewertungsmöglichkeiten “sehr gut”, “gut”, “weder noch”, “schlecht” und “sehr schlecht”.
Deutliche Lücke bei digitalen Angeboten
Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Lücke bei den digitalen Angeboten. Die klassischen, nicht-digitalen Leistungen schnitten in der Umfrage durchweg besser ab als die digitalen. Insgesamt gab es nur zwei Kategorien, die von mehr als die Hälfte der Teilnehmenden als mindestens “gut” bewertet wurden: “nicht-digitale Informationen” und “nicht-digitale Beratung”.
Innerhalb der digitalen Leistungen wurde nur die Kategorie “Information” von knapp der Hälfte der Befragten als mindestens “gut” beurteilt. Bei allen anderen Kategorien lag dieser Anteil – die Bewertung als “gut” oder “sehr gut” – unter 20 Prozent. Am schlechtesten schnitten hier die Kategorien “digitale Beratung” und “digitale Intervention” ab. Mit Ausnahme der “digitalen Information” wurden alle Kategorien von mehr als der Hälfte der Teilnehmenden als “schlecht” oder “sehr schlecht” eingestuft.
Digitale Angebote bieten zahlreiche Vorteile
Die Umfrageergebnisse zeigen nach Ansicht von Reichold und seinem Team, dass “in Bayern in der Landschaft der digitalen Dienstleistungen für Menschen mit Demenz noch viel zu tun bleibt”. Die Autorinnen gehen zunächst darauf ein, was Betroffene Studien zufolge davon abhält, nicht-digitale Angebote zu nutzen: zum Beispiel die Verfügbarkeit innerhalb eines gewünschten Zeitraums, weite Entfernungen oder auch Kosten. Diesen Hindernissen stellen die Wissenschaftler*innen die Vorteile digitaler Angebote gegenüber: Sie stehen unabhängig von Zeit, Ort und Personalressourcen zur Verfügung und bieten dadurch insbesondere in ländlichen Gebieten eine wichtige Alternative in der Versorgung.
Vorteile der geplanten digiDEM Bayern-Angebote
Das Forscherteam geht auch auf die konkreten Angebote ein, die für das Online-Portal https://test.digidem-bayern.de/ geplant sind. So wird die Website etwa Möglichkeiten zum Austausch anbieten – und damit in einem besonders sensiblen Bereich eine sichere Alternative zu Facebook und Co. im Hinblick auf den Datenschutz. Und während die Kategorie “digitale Interventionen” in der Umfrage schlecht abschnitt, entwickelt digiDEM Bayern genau solche Angebote: zum einen ein Online-Training für Menschen mit MCI (leichten kognitiven Beeinträchtigungen) und Demenz sowie eine sogenannte “Risikoampel” für pflegende Angehörige, die deren individuelle Belastung anzeigt.
Reichold und sein Team betonen in ihrer Schlussfolgerung, dass digitale Angebote wie digiDEM Bayern die Gesundheitsversorgung verbessern und so dazu beitragen können, die festgestellte Lücke zwischen nicht-digitalen und digitalen Dienstleistungen zu schließen. “Indem wir die Perspektiven und die Expertise der Beteiligten bereits zu Beginn des Projektes […] einbeziehen, erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Implementierung und steigern den Nutzen und den Wert der genannten Plattform.” digiDEM Bayern könne damit seinen Beitrag zur digitalen Zukunft der Demenz-Versorgung insbesondere im ländlichen Raum leisten.
Hier finden Sie die vollständige Studie:
Stakeholder Perspectives on the Key Components of a Digital Service Platform Supporting Dementia – digiDEM Bayern (Juni 2020)