“Liebe ist alles”, sagte ein Witwer bei einer Studie über Liebe, Sexualität und Intimität von Menschen mit Demenz in Pflegeheimen und ihren Ehepartnern, bevor er anfing zu weinen. Bei anderen Befragten wurden Dilemmata deutlich, etwa zwischen dem Wunsch, den Partner mit Demenz zu beschützen und eigenen intimen Bedürfnissen

Bewohner*innen von Pflegeheimen sind abhängig von Fürsorge und können in vielen Belangen nicht mehr eigenständig entscheiden. Dies gilt besonders für Menschen mit Demenz. Wie wirken sich die Bedingungen im Pflegeheim auf ihr Erleben von Liebe, Intimität und Sexualität aus? Das haben Tineke S.M. Roelofs und ihr Team von der niederländischen Universität Tilburg untersucht und dabei auch die Sicht der Ehepartner der Menschen mit Demenz mit einbezogen.

Symbolbild: Älteres Paar geht gebeugt, Mann hält einen Stock.

In ihrer Studie nennen die Forscher zunächst verschiedenen Faktoren, die das Erleben von Intimität in Pflegeheimen beeinflussen können, darunter die Haltung der Pflegekräfte, von denen einige sexuelles Verhalten als problematisch und verboten einstufen würden. Zudem existierten generell negative Stereotypen im Hinblick auf Sexualität im Alter. Dabei habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die lebenslange Bedeutung von Sexualität und Intimität betont. Auch immer mehr Studien zeigten, dass die entsprechenden Bedürfnisse nicht an eine Altersgrenze gebunden seien.

Sichtweise der Betroffenen bislang wenig erforscht

Bisherige Untersuchungen über Sexualität und Intimität von Pflegeheim-Bewohner*innen mit Demenz befassten sich laut Roelofs mit Aspekten wie der Bandbreite von sexuellen Verhaltensweisen und der Perspektive von Pflegekräften, die zum Teil die Spannung zwischen der Pflege-Verantwortung und dem Autonomie-Bedürfnis der Bewohner*innen beklagten. In diesen Studien wurde deutlich, wie wichtig Schulungen des Personals und Richtlinien bezüglich Intimität und Sexualität der Bewohner*innen sind. Wenig erforscht ist laut Roelofs bislang allerdings die Sichtweise der Betroffenen selbst, obwohl sie im Zuge einer immer stärker personalisierten Pflege zunehmend wichtig werde.

Vor diesem Hintergrund wollte das Forscherteam die Erfahrungen von Pflegeheim-Bewohner*innen mit Demenz und ihren Partnern in Bezug auf Liebe, Intimität und Sexualität untersuchen. Für ihre Studie führten sie ausführliche Interviews mit 12 Frauen und Männern. Befragt wurden vier Paare und vier Einzel-Bewohner. Drei Paare waren verheiratet; ein Paar war zwar lange Zeit zusammen, aber nicht verheiratet. Bei einem der Paare hatten beide Partner eine Demenzerkrankung und lebten zusammen im Pflegeheim. Von den vier Einzel-Bewohnern war zum Zeitpunkt der Befragung keiner in einer Beziehung; drei waren verwitwet und einer war sein ganzes Leben lang ledig.

Alle Befragten wünschten sich mehr Privatsphäre

Die Interviews zeigten, dass alle Befragten Liebe, Intimität und Sexualität als sehr wichtigen Teil ihres Lebens betrachteten, und das schon seit langer Zeit. Der Wunsch nach Zusammensein, nach Verbundenheit und Liebe kam immer wieder zur Sprache. Zugleich standen die physische Distanz aufgrund des Lebens im Pflegeheim und die emotionale Distanz aufgrund des Demenzverlaufs diesem Wunsch entgegen. Dies  machte sowohl die Bewohner mit Demenz als auch ihre Partner offensichtlich traurig, auch wenn sie dies nicht explizit äußerten oder zum Teil sogar heruntergespielten.

Insgesamt wurde deutlich, welch großen Einfluss die Demenz auf das Leben der Befragten hatte. Infolge der Erkrankung, der Bedingungen im Pflegeheim und anderer Faktoren kam es zu tiefgreifenden Dilemmata in Bezug auf Intimität: Der Wunsch nach Privatsphäre, körperliche und emotionale Bedürfnisse, körperliche und geistige Einschränkungen, Loyalität dem Partner gegenüber und der Wunsch, sich gegenseitig zu beschützen sind einige der Faktoren in diesem Spannungsfeld. Nur ein Paar berichtete, dass es innerhalb des Pflegeheims körperliche Sexualität erlebt. Die anderen Befragten gaben an, dass Liebe und Intimität die wichtigsten Aspekte ihrer Beziehung seien. Sie vermissten es, mit jemandem intim zu sein, und nannten verschiedene Gründe für dieses Defizit, darunter körperliche Gründe wie Impotenz und nicht-körperliche Gründe (alt sein im Allgemeinen). Alle wünschten sich eine gesicherte Privatsphäre im Pflegeheim, um ihre Bedürfnisse erfüllen zu können, vermissten diese jedoch zum Zeitpunkt der Befragung.

Pflegekräfte sollten offene Gespräche über das Thema anstoßen

Die Vielfalt der geäußerten Geschichten unterstreicht den Autoren zufolge, wie wichtig es ist, sowohl den Bewohner*innen als auch ihren Partnern zu diesem Thema eine Stimme zu geben. Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse empfehlen die Forscher zum einen, Lösungen für praktische Hindernisse in Pflegeheimen zu finden. Vor allem sollten offene Gespräche zwischen Bewohnern und ihren Partnern geführt werden, die vom Pflegepersonal angestoßen und geleitet werden. Kenntnisse über Intimität und Sexualität im Alter im Allgemeinen und speziell über die in dieser Studie festgestellten Dilemmata seien dabei von großer Bedeutung.

Die Autor*innen weisen auch auf einige Einschränkungen zu ihrer Studie hin. So ließen sich die Ergebnisse durch die Interview-Methode nur begrenzt auf die Allgemeinheit übertragen. Dies sei noch verstärkt worden durch die kleine und ausschließlich weiße, niederländische und heterosexuelle Stichprobengröße. Ein Grund dafür war dem Forscherteam zufolge die schwierige rechtliche Situation in Bezug auf eine Studienteilnahme von Menschen mit Demenz.

Die vollständige Studie finden Sie hier:
Love, Intimacy and Sexuality in Residential Dementia Care: A Client Perspective (Sept 2019)