Unruhe, Aggressionen oder Halluzinationen – sogenannte verhaltensbezogene und psychologische Symptome bei Demenz („Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia“, kurz BPSD) treten bei rund 90 Prozent der Betroffenen auf. Sowohl für Menschen mit Demenz als auch ihre pflegenden An- und Zugehörigen stellt dies eine große Belastung dar. Doch inwiefern können digitale Hilfsmittel wie zum Beispiel Apps und nicht-pharmakologische, technologiegestützte Behandlungen für Entlastung bei pflegenden An- und Zugehörigen und eine Verbesserung des Wohlbefindens gefährdeter Zielgruppen sorgen? Wie wirksam sind sie, welches Potenzial steckt in ihnen? Mit diesen Fragestellungen haben sich zwei wissenschaftliche Publikationen befasst – eine Pilotstudie aus den USA und eine Studie aus Korea.
In einer Pilotstudie untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA die App Brain CareNotes, eine neuartige telemedizinische Anwendung. Die App bietet rund um die Uhr Informationen, Unterstützung und die Möglichkeit, mit Pflegecoaches Kontakt aufzunehmen – für den Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen wie Unruhe oder Aggression und psychischen Symptomen, die bei Demenz häufig auftreten.
An der Studie nahmen 53 sogenannte Dyaden – bestehend aus einer Person mit Demenz und einer pflegenden Bezugsperson – teil. Die Teilnehmenden wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe erhielt die übliche Versorgung, die andere erhielt die Brain CareNotes-App. Die Studie lief über sechs Monate.
Die Ergebnisse zeigten, dass die App gut angenommen wurde. Auf einer Skala von Null bis 100 lag die Benutzerfreundlichkeit der App nach sechsmonatiger Nutzung bei knapp über 72, was einer Bewertung von „gut bis exzellent“ entspricht. Die meisten pflegenden An- und Zugehörigen fanden sie einfach zu bedienen. Zwischen 85 und 90 Prozent der pflegenden An- und Zugehörigen gaben an, die App auch in den nächsten sechs Monaten nutzen zu wollen. Besonders hilfreich war die Kombination aus digitalen Informationen und persönlicher Unterstützung durch eine Pflegefachkraft (Care Coach).
Die Forschenden haben zudem eine Verringerung der Belastung nach Nutzung der App nachgewiesen, sowohl bei den pflegenden An- und Zugehörigen als auch hinsichtlich der verhaltensbezogenen und psychologischen Symptome der erkrankten Personen. Die Ergebnisse waren allerdings nicht signifikant.
In der Studie betonten die Forschenden, dass die App ein großes Potenzial habe. Sie ist kostengünstig, ortsunabhängig einsetzbar und könnte flächendeckend vielen Pflegenden den Alltag erleichtern. Nach Ansicht der Forschenden sind allerdings weitere Studien mit größeren Teilnehmendenzahlen nötig, um zu erforschen, ob die App Brain CareNotes langfristig helfen kann, Belastung und Stress bei der Demenzpflege zu reduzieren.
„Digitale Helfer können verhaltensbezogene und psychologische Symptome bei Menschen mit Demenz lindern und bei pflegenden An- und Zugehörigen Stress und Belastung reduzieren.“
Dr. Michael Zeiler, digiDEM Bayern-Wissenschaftler
Auch die Studie koreanischer Forschender untersuchte die Wirksamkeit von digitalen Maßnahmen bei verhaltensbezogenen und psychologischen Symptomen von Demenz. In ihrer systematischen Übersichtsarbeit analysierten die Forschenden 16 sogenannte randomisiert kontrollierte Studien aus Europa, Ozeanien, den Vereinigten Staaten und Asien. Dazu gehörten Behandlungsmaßnahmen wie zum Beispiel digitale Anwendungen für die Musik- und Reminiszenztherapie, soziale Interventionen mittels Roboter, um die soziale Einbindung zu fördern oder telemedizinische Coaching- und Beratungsprogramme für Betroffene und ihre pflegenden An- und Zugehörigen.
Durchgeführt wurden die Studien in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen, Gemeinschaftseinrichtungen einschließlich Tagespflegen, Begegnungszentren, aber auch zu Hause oder sowohl in Tagespflegezentren als auch zu Hause.
Im Hauptergebnis wiesen die Wissenschaftler nach, dass nicht-pharmakologische Interventionen, gestützt von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), wirksam sind und geeignet sein können, um verhaltensbezogene und psychologische Symptome von Demenz zu lindern.
Dabei zeigten sich jedoch Unterschiede zwischen den Symptomen. Einen großen Effekt hatten die IKT-unterstützten Maßnahmen auf Depressionen, während der Effekt auf die psychologischen und verhaltensbezogenen Symptome insgesamt sowie auf Agitation (Unruhe) im Speziellen moderat war. Wissenschaftlich nicht signifikant nachgewiesen werden konnte ein Einfluss auf andere neuropsychiatrische Symptome wie Angstzustände und Apathie. Es bleibt also unklar, ob die Ergebnisse nur für diese Studie gelten oder generell übertragbar sind. Dies erklärten die Forschenden mit der geringen Anzahl der untersuchten Studien in diesen speziellen Bereichen.
Ein wichtiger Faktor, der die Wirksamkeit beeinflusste, war das Alter der Studienteilnehmenden. Bei jüngeren Demenzpatienten zeigten die IKT-gestützten Behandlungsmaßnahmen eine höhere Wirksamkeit als bei älteren Betroffenen. Die Forschenden begründeten diesen Effekt damit, dass ältere Patienten oft stärkere sensorische, kognitive und motorische Einschränkungen haben, die die Nutzung der Technologien erschweren.
Tipp für die Praxis:
Technologiegestützte Maßnahmen können beim Umgang mit verhaltensbezogenen und psychologischen Symptomen der Demenz helfen. Wichtig ist, sich im Vorhinein über die Wirksamkeit spezifischer Maßnahmen zu informieren.
Hier gelangen Sie zu den beiden Studien:
digiDEM Bayern entwickelt digitale Angebote für Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Demenz sowie für pflegende An- und Zugehörige und ehrenamtliche Helfende und stellt die Angebote auf digiDEM-Bayern.de zur Verfügung.
Unser Tipp:
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