SCHLAGLICHT – Neue Medikamente gegen Demenz – so heißt unsere neue Reihe rund um neue Wirkstoffe zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung. „Schlaglichtartig“ möchten wir Ihnen das facettenreiche Thema „Neue Demenz-Medikamente und Herausforderungen für die Alltagsversorgung“ nahebringen.

Diese neuen Medikamente richten sich an Menschen in einem frühen Erkrankungsstadium oder in der Phase der leichten kognitiven Beeinträchtigungen. Doch die neuen Medikamente werden in der Wissenschaft und unter anerkannten Fachexperten aus der Medizin weltweit intensiv und kontrovers diskutiert.

Zulassung von „Hoffnungsträgern“

Die Medikamente – die beiden sogenannten monoklonalen Antikörper Lecanemab (Handelsname Leqembi) und Donanemab (Handelsname Kisunla) – versprechen Hoffnung für Betroffene. Zugelassen wurde Lecanemab in den USA, Japan, China, Südkorea, Hong Kong, Israel, in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und zuletzt in Großbritannien.  Donanemab ist ein weiteres Arzneimittel dieser Klasse und hat im Juli 2024 die Zulassung in den USA erhalten.

Wirksamkeit ist umstritten

In Studien konnte nachgewiesen werden, dass Lecanemab in der Lage ist, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Ob diese Verzögerung im Vergleich zu anderen Maßnahmen bedeutsam ist, ist allerdings umstritten. Kritiker sind der Meinung, die Wirkung des Medikamentes sei derart unbedeutend, dass sie keine Versorgung der Betroffenen rechtfertige. Zwar gebe es einen Effekt, dieser sei aber klinisch nicht relevant. Zudem sind bei den in die Studien eingeschlossenen Patientinnen und Patienten schwere Nebenwirkungen wie Hirnblutungen und Hirnödeme (Flüssigkeitseinlagerungen) aufgetreten, die genauestens überwacht werden müssen. Damit kein langfristiger Schaden für das Gehirn entsteht.

In der ersten Ausgabe unseres SCHLAGLICHT – Neue Medikamente gegen Demenz befasst sich Dr. Nikolas Dietzel, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei digiDEM Bayern, mit der Veröffentlichung von Prof. Markku Kurkinnen von der Wayne State University in Detroit Michigan in der Fachzeitschrift Advances in Clinical and Experimental Medicine über die Kritik an der Wirksamkeitsstudie des Medikaments Lecanemab (DOI: 10.17219/acem/171379).

Lesen Sie jetzt den Beitrag von Dr. Nikolas Dietzel:

Markku Kurkinen, Professor an der Wayne State University in Detroit Michigan, hat eine der Zulassungsstudien für das Medikament Lecanemab (Handelsname: Leqembi), dem monoklonalen Antikörper von Eisai und Biogen zur Bekämpfung der Alzheimer Erkrankung, genauer analysiert (https://advances.umw.edu.pl/pdf/2023/32/9/943.pdf).

In der Zulassungsstudie, die im Januar 2023 im The New England Journal of Medicine erschienen ist, werden die Wirksamkeit und Sicherheit des Medikaments beschrieben.

Vergleich von Äpfeln und Birnen

Prof. Markku Kurkinen kritisiert die Zulassungsstudie an verschiedenen Stellen als irreführend. In der Studie wurde zur Messung des Krankheitsverlaufs eine demenzspezifische Bewertungsskala (Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes) eingesetzt, die die kognitiven Fähigkeiten einschätzt. Dabei wurde in der Behandlungsgruppe mit Lecanemab ein Unterschied von 0,45 Punkte auf einer Skala von 0 (= gesund) bis 18 Punkte (= schwere Demenz) verglichen mit der Placebogruppe berichtet. Die Autoren der Zulassungsstudie haben dies mit einer Verlangsamung von 27% übersetzt. Kurkinen kritisiert hier jedoch, dass diese Zahlen nicht die Studienteilnehmenden repräsentieren. Vielmehr wurden für Männer und Frauen getrennt gemessene Ergebnisse am Ende zusammengerechnet. Während der Effekt bei Männern jedoch größer war (0,73 Punkte Unterschied), war dieser bei Frauen kaum vorhanden (0,20 Punkte Unterschied). Aufgrund der größeren Abweichung sei dies wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen und das errechnete Ergebnis würde keinem der beiden Geschlechter gerecht werden. Gleiches gelte für die anderen Messergebnisse. Diese Informationen fänden sich allerdings lediglich im Anhang, die Transparenz sei demnach fraglich.

Zudem sei auch die Prozentangabe zur Verzögerung des Krankheitsverlaufs falsch berechnet. Statt 27% seien es in Wahrheit 9,3%, was kaum einen Unterschied für die an Demenz erkrankten Menschen darstellen würde.

Unterschiedliche Wirksamkeit bei verschiedenen Personen

Wie Kurkinen zudem herausstellt, ist die Wirksamkeit von Lecanemab bei Menschen, die Träger des bekanntesten genetischen Risikofaktors APOE4 sind, gering. Bei Personen mit zwei APOE4-Genen sei eine Behandlung sogar mit schlechteren Werten verbunden als in der Placebogruppe.

Die fehlende bis geringe Wirksamkeit des Medikaments bei Frauen und Personen mit mindestens einem APOE4-Gen ist für die Versorgung ein großes Problem. Frauen sind häufiger von Alzheimer betroffenen als Männer. Zudem erkranken sie häufig früher und haben schwerere Verläufe. Gleiches gilt für Träger des APOE4-Gens, unabhängig des Geschlechts. Ein Großteil der Betroffenen würde damit nicht von der Versorgung durch Lecanemab profitieren.

Falsche Versprechungen

Die mangelnde Transparenz und das selektive Berichten von Ergebnissen der oben genannten Zulassungsstudie sei zudem Grundlage für eine fehlerhafte Darstellung in den Medien. Damit würde die Öffentlichkeit unzureichend informiert.

Bereits die Zulassung von Aducanumab (Handelsname: Aduhelm), der erste in den USA 2021 zugelassene monoklonale Antikörper gegen Alzheimer, stand in der Kritik. Ein Expertengremium hatte sich damals gegen die Zulassung ausgesprochen. Hier geht es zum Artikel von Prof. Markku Kurkinen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert