Smartphone-Anwendungen ergänzen mehr und mehr die traditionelle Gesundheitsversorgung: Sie können Patientinnen und Patienten bei der Prävention, Behandlung oder Heilung von Erkrankungen unterstützen und auch Menschen mit Demenz helfen. Für viele Hersteller der sogenannten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) stellte das Jahr 2019 dabei einen Wendepunkt dar: Deutschland war das weltweit erste Land, das ein Vergütungsmodell mit klar definierten Qualitätsanforderungen für neue DiGA eingeführt hat.
Ein neues Geschäftsmodell für Gesundheits-Apps war geschaffen. Seitdem können Ärztinnen und Ärzte die digitalen Gesundheitsanwendungen verordnen. Die Kosten für die „Apps auf Rezept“ werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, meist für einen Anwendungszeitraum von drei Monaten pro Patientin oder Patient.
Damit ein Medizinprodukt als DiGA zugelassen werden kann, gibt es zwei Wege. Wenn der medizinische Nutzen ausreichend nachgewiesen wird, können sich Entwicklerinnen und Entwickler für eine dauerhafte Genehmigung bewerben. Alternativ ist eine temporäre Zulassung mit reduzierten Anfangsanforderungen möglich, erläutern die Forschenden. In diesem Fall stehen den App-Entwicklern 12 bis 24 Monate zur Verfügung, um zusätzliche Evidenz durch klinische Studien nachzuliefern. Die üblichen Geschäftsmodelle von App-Entwicklern basieren, so eine neue Studie aus Deutschland, entweder auf Werbung, dem Verkauf von Daten, Erstattungsverträgen mit speziellen Krankenversicherungen oder Gesundheitsdienstleistern oder auf Zahlungen durch Patienten selbst.
Forschende aus Deutschland haben in einer Studie, die im Juli 2025 veröffentlicht wurde, eine bedeutende Fragestellung untersucht. Wie wirkt sich das neue DiGA-Erstattungssystem auf die Entwicklung und Veröffentlichung von patientenzentrierten Gesundheits-Apps aus? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen zu überraschenden Ergebnissen. „Zusammengenommen legen die Befunde nahe, dass die Einführung des DiGA-Verfahrens zwar kurzfristig einen Innovationsschub mit mehr Apps auslöste, dieses Momentum jedoch nicht in eine breite und nachhaltige Innovationswelle qualitativ hochwertiger Produkte mündete.“
„Gesetzlich Versicherte benötigen hochwertige digitale Gesundheitsangebote, deren Qualität und medizinischer Zusatznutzen wissenschaftlich nachgewiesen sein muss.“
Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, digiDEM Bayern-Projektleiter
In der Studie prüften die Forschenden, ob die finanziellen Anreize der DiGA-Erstattungsregelung die Zahl deutschsprachiger digitaler Gesundheitsanwendungen erhöht haben. Das Ergebnis war deutlich: Auf dem Zielmarkt Deutschland ist ihre Anzahl deutlich angestiegen.
Die Kehrseite der Medaille: „Die Expansion bei deutschen Gesundheits-Apps war weitgehend quantitativ, nicht qualitativ“, heißt es in der Studie. Der Zuwachs beruhe primär auf Apps mit Datenerhebung zu Werbezwecken.
Auch der therapeutische Anwendungsbereich wurde nicht erweitert. Das bedeutet: Die Zahl der Diagnosen, auf die Gesundheits-Apps abzielen, hat sich nicht erhöht. Zudem haben, so die Forschenden, „relativ wenige neu entwickelte Apps einen Bezug zu wissenschaftlichen Publikationen.“ Nach Ansicht der Forschenden bedeutet dies: „Ein zwingender Beleg für die klinische Wirksamkeit fehlt somit.“
„Trotz starker finanzieller Anreize für Entwickler könnten andere Aspekte – etwa hohe Nachweisanforderungen oder bürokratische Hürden im stark regulierten deutschen Gesundheitswesen – abschreckend wirken“, bilanziert die Studie. An Entscheider im Gesundheitswesen gerichtet empfehlen die Studienautorinnen und -autoren hinsichtlich der Kostenerstattungswege „eine sorgfältige Balance zwischen Eintrittsanreizen und Qualitätssicherung“.
„Vor dem Hintergrund, dass Gesundheits-Apps risikoarme Medizinprodukte darstellen, könnte ein Modell mit niedrigeren Anforderungen und geringerer Erstattung für Patienten vorteilhafter sein.“ Analysiert haben die Forschenden die Daten sämtlicher Apps im Apple-App-Store im Zeitraum Januar 2018 bis September 2021. Zu den Erhebungen gehörten zum Beispiel Angaben über das Veröffentlichungsdatum und die Verfügbarkeit der App, Nutzerbewertungen und Datenschutzeinstellungen.
Tipp für die Praxis:
Wenn Sie eine digitale Gesundheitsanwendung nutzen möchten, lassen Sie sich von ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt über die Wirksamkeit und Qualität der App aufklären.
Hier gelangen Sie zur Studie:
Market Entry of Digital Health Providers after the Introduction of a New Reimbursement Pathway
Der besondere Tipp zum Weiterlesen:
Unsere Kollegen Dr. Nikolas Dietzel, Dr. Michael Zeiler und digiDEM Bayern-Projektleiter Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas haben in einer Übersichtsarbeit, die im Januar 2025 publiziert wurde, die wissenschaftliche Qualität der Zulassungsstudien für DiGA sowie deren Preisgestaltung analysiert. Das Fazit: Viele der durchgeführten Studien zum Nachweis der Wirksamkeit weisen erhebliche wissenschaftliche Mängel auf. Unseren Artikel „App auf Rezept: Hohe Preise trotz mangelhaft nachgewiesener Wirksamkeit“ finden Sie hier.
digiDEM Bayern entwickelt digitale Angebote für Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Demenz sowie für pflegende An- und Zugehörige und ehrenamtliche Helfende und stellt die Angebote auf digiDEM-Bayern.de zur Verfügung.
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