Nach ihm sind viele Schulen benannt, mit der Erfindung des frechen Fabelwesens Sams hat er vor genau 50 Jahren einen echten Kinderbuch- Klassiker geschaffen: Der Schriftsteller Paul Maar ist ein bedeutender Kinderbuchautor, Illustrator und Drehbuch- und Theaterautor. Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, dem Bayerischen Theaterpreis, dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, dem E.-T.-A.-Hoffmann-Preis der Stadt Bamberg und dem Bayerischen Verdienstorden. 1937 im unterfränkischen Schweinfurt geboren, lebt er seit vielen Jahren in Bamberg. Mit seiner Ehefrau Nele, einer Familientherapeutin, ist er seit mehr als 60 Jahren verheiratet. 2017 wurde bei ihr Demenz diagnostiziert. Im Interview mit Ilona Hörath spricht Paul Maar über das Sams, wie er die Krankheit seiner Frau erlebt und was ihm Kraft gibt.
Herr Maar, das freche Fabelwesen Sams hat Millionen Kinder in seinen Bann gezogen. Was bedeutet Ihnen das Sams persönlich?
Paul Maar: Das Sams ist eine meiner schriftstellerischen Lieblingsfiguren. Sie verkörpert viel von dem, was ich mag und was ich gerne tue, zum Beispiel das Spiel mit der Sprache. Schon beim täglichen Frühstück mit meiner Frau Nele habe ich meist in Reimen gesprochen, was ihrerseits zu einem Kannst du nicht mal normal sprechen? führte. Ich habe mich aber eher als der Herr Taschenbier gefühlt, zumindest als ich in der Pubertät war. Erst das Sams machte aus mir einen selbstbewussten Menschen und auch die vielen Lesungen, die es gab, die mir Routine gaben. Nüchtern betrachtet bedeutet das Sams für mich, dass ich ein gutes Auskommen habe. Die Bücher haben sich millionenfach verkauft.
Sie haben dem Sams also viel zu verdanken?
Paul Maar: Ja, so ist es. Die Geschichte kommt gut an, die Kinder und ihre Eltern sind dankbar dafür.
Das Sams hat von Anfang Ihre Ehefrau Nele mitbegleitet. Sie ist Familientherapeutin, mit ihr sind Sie seit mehr als 60 Jahren verheiratet. 2017 wurde bei ihr Demenz diagnostiziert. Haben Sie dies kommen sehen? Wie sind Sie beide mit der Diagnose umgegangen?
Paul Maar: Es war ihr nicht bewusst, was auf sie zukommt. Sie dachte, dass ihr Gedächtnis eben schlechter wird. Anfangs führte die Krankheit sogar zur Erheiterung, da es zu liebenswürdigen Wortschöpfungen kam. Wenn ihr zum Beispiel das Wort für Fernbedienung nicht einfiel, erfand sie das neue Wort „Fernsehanzünder“. Ich habe für sie Spielkarten gemalt mit einem Haus, einem Hund, einem Baum oder einem Mann darauf und sie musste die Motive benennen. Auf diese Weise hatte ich das Gefühl, ich halte ihren Gedächtnisstand fest. Die Anfangszeit der Demenz haben wir bewusst miteinander erlebt und gestaltet.
Wie geht es Ihrer Frau heute?
Paul Maar: Die Krankheit entwickelte sich kontinuierlich weiter. Irgendwann hat meine Frau die Personen in ihrer Umgebung nicht mehr erkannt und kaum noch Anderes. Ich ließ für sie einen Treppenlift einbauen. Sie fuhr nur dann hinunter, wenn ich dabei ihre Hand hielt. Erst wenn sie unten angekommen war, durfte die Pflegerin sie wieder betreuen. Später saß Nele in Rollstuhl, jetzt kann sie nicht mehr stehen. Wenn sie am Tisch sitzt und ich ihre Hand fasse, merke ich ihre Reaktion. Bei einer Pflegerin geschieht dies aber genau so. Das zeigt mir, dass sie mich nicht mehr erkennt.
Wie kommen Sie mit der Krankheit Ihrer Frau zurecht?
Paul Maar: Es war ein Abschiedsschmerz. Ich habe kürzlich in alten Fotos gekramt, die ich auf dem Handy habe, wo sie noch frisch, agil und schön war. Da sind mir die Tränen gekommen. Ich habe mich gefragt: Warum können wir nicht gemeinsam alt werden? Meine zweite Sorge ist, hoffentlich sterbe ich nicht vor meiner Frau, wer kümmert sich dann um sie?
Was ist Ihnen bei der Pflege besonders wichtig? Sie pflegen ihre Frau zuhause gemeinsam mit drei Pflegerinnen, die sich abwechseln.
Paul Maar: Ich möchte, dass Nele in ihrer vertrauten Umgebung bleibt. Wird sie von Bett aufgesetzt, schaut sie schon Richtung Badezimmer, wo es als nächstes hingehen wird. Ich kann sie noch füttern, aber das ist schon das Einzige, worauf sie mittlerweile noch reagiert. Wie ein Vögelchen sperrt sie dann den Mund weit auf. Auch wenn sie nichts mehr sagen kann, klopft sie mit den Fingern schnell auf den Tisch, wenn sie weitergefüttert werden möchte.
Wie gehen Sie mit dieser Situation um? Inwiefern spiegelt sich die Krankheit in Ihrem künstlerischen Schaffen wieder?
Paul Maar: Ich nehme die Situation zur Kenntnis und finde ich damit ab. Andererseits setze ich es in Literatur um und habe ein Theaterstück für Kinder geschrieben. Es heißt „Opa Bär und die Menz“. „Die Menz“ ist eine Verballhornung des Begriffes Demenz, den Opa Bär immer falsch versteht. Meine Tochter Anne hat das Stück in ihrem Theater Schloss Maßbach inszeniert, es ist vor vielen Kindern uraufgeführt worden und war ein großer Erfolg.
Wie haben Sie sich dabei dem komplexen Thema Demenz genähert? Worte wie Medikation oder Pflegesatz fallen in dem Theaterstück nicht.
Paul Maar: Das Theaterstück hat natürlich eine gewisse Ernsthaftigkeit. Aber die Kinder freuen sich und finden es lustig, wenn Opa Bär, der Demenz hat, die Schuhe in den Kühlschrank stellt. Es gibt also groteske Elemente, bei denen einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Aber die Darsteller unterhalten sich auch über Demenz. Der Enkelkind-Bär sagt etwa zu Opa Bär: Ich werde dich nie allein lassen und werde immer für dich da sein.
Unsere Kollegen um Dr. Anna Pendergrass und Prof. Elmar Gräßel haben in einer wissenschaftlichen Studie herausgefunden, dass häusliche Pflege auch ihre positiven Seiten hat. Welche Zugewinne erleben Sie?
Paul Maar: Mein Tag ist mittlerweile viel strukturierter. Als meine Frau noch berufstätig war und ich schreiben konnte, wann ich wollte, habe ich Pause gemacht, wann ich mochte. Jetzt gibt es zum Beispiel bestimmte feste Zeiten für das Mittag- und Abendessen.
Was raten Sie anderen, die einen Menschen mit Demenz pflegen?
Paul Maar: Die pflegenden Personen sollten darauf achten, dass sie nicht selbst in einen Zustand geraten, in dem man sie pflegen müsste. Wichtig ist, zum Beispiel einmal für einen Tag eine Pflegevertretung zu bekommen, einmal schwimmen gehen, etwas für sich selbst tun.
Was gibt Ihnen Kraft?
Paul Maar: Mein Beruf und der Erfolg, den ich im Beruf habe, geben mir Kraft. Wenn ich zu einer Lesung eingeladen werde und vor 1.000 Kindern lese, fahre ich wieder gestärkt nach Hause. Das gibt mir Kraft und Auftrieb.
Gibt es noch etwas anderes, das wichtig für Sie ist?
Paul Maar: Das Glück liegt im Zusammenleben mit meiner Frau. Wir haben immer alle Geburtstage und Feste wie zum Beispiel Weihnachten im großen Familienkreis gefeiert, das tun wir immer noch. Da steigen alte Erinnerung hoch und meine Frau Nele spürt, dass alle da sind und dass eine glückliche Stimmung entsteht.
Demenzforschung gewinnt immer mehr an Gewicht. Auch in den Medien wird immer häufiger über Demenz berichtet. Ihre Einschätzung?
Paul Maar: Ich lese in der Süddeutschen Zeitung oder in der Zeit, dass man neue Medikamente entwickelt. Aber für mich, für uns, ist es zu spät.
Typisch für das Sams sind seine „Wunschpunkte“ – was wünschen Sie sich?
Paul Maar: Ich persönlich wünsche mir, dass mich nicht das Schicksal meiner Frau ereilt. Ich bin 86 Jahre alt, manche Namen fallen mir nicht mehr ein. Aber das ist normal, wie mir Gleichaltrige, aber auch jüngere Menschen bestätigen. Mein Gedächtnis lässt nach, aber ich nehme es gelassen.
Ist Gelassenheit ein Wesenszug von Ihnen?
Paul Maar: Ja, das war es schon immer.
Herr Maar, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.
Sehen Sie sich auch unsere Kurzvideos an.
Paul Maar über die Demenz seiner Ehefrau Nele: „Ich werde Dich schützen“
Paul Maar über sein Kindertheaterstück „Opa Bär und die Menz“
Paul Maar: „Mein Tag ist sehr viel strukturierter“