Gute Tage wechseln sich mit schlechten Tagen ab, sagt Simone. Sie hat Demenz und gilt mit ihren heute 56 Jahren als früherkrankt. Bevor die Diagnose gestellt wurde, war die studierte Betriebswirtschaftlerin als Unternehmerin tätig. Bis ihre Demenz diagnostiziert wurde, war es ein langer Weg. Im Jahr 2020 stellte sie sich auf eigene Initiative hin bei einem Neurologen vor. Heute engagiert sich Simone im sozialen Bereich, vernetzt sich mit „Gleichgesinnten“ und ist Beiratsmitglied der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Das Interview führte Ilona Hörath.
Simone, seit Kurzem sind Sie „Frauchen“ einer kleinen Babykatze. Wie kam es zu dem Familienzuwachs?
Simone: Unser Familienkater war verstorben und ich habe es nicht lange ausgehalten, „ohne Fell“ zu leben. Jetzt habe ich wieder etwas zum Schmusen. Seit ich aufgrund meiner frühzeitigen Demenz tagsüber alleine zuhause bin, habe ich entdeckt, wie schön es ist, mit Tieren zu arbeiten. Am Anfang habe ich immer Pferde gestreichelt. Ihnen ist es egal, wie man gerade drauf ist. Sie sind auf mich zugegangen.
Helfen die Tiere dabei, besser mit der Erkrankung umgehen zu können?
Simone: Mittlerweile gehe ich mit Hunden aus dem Tierheim Gassi. Außerdem bin ich in einem Team für die Versorgung von Therapie-Alpakas, die ja eigentlich Fluchttiere sind. Sie sind dankbare Zuhörer, haben ein offenes Ohr, wenn ich ihnen etwas erzähle. Man kann bei ihnen aber auch schweigen, wenn es einem mal nicht so gut geht.
Wann haben Sie erste Anzeichen der Erkrankung wahrgenommen? Welche waren das?
Simone: Ich befand mich zum Beispiel auf dem Heimweg und wusste nicht mehr, wo ich war. Kollegen haben mir gesagt, dass ich E-Mails doppelt schreibe. Und mein Sohn wies meinen Ehemann und mich darauf hin, dass Mama ihre Sätze nicht mehr zu Ende spricht. Berufliche dienstliche Termine hatte ich jedoch immer noch im Kopf, diese habe nicht vergessen. Aber alle privaten Absprachen und Termine habe ich vergessen. Begonnen haben die Symptome ungefähr 2010, bis Ende 2018 haben sie sich verstärkt.
Der Weg bis zur Ihrer Demenzdiagnose war also lang. Demenz wurde bei Ihnen 2020 diagnostiziert. Was hat die Diagnose für Sie bedeutet?
Simone: Zuerst war ich bei meiner Hausärztin, die die Diagnose Burnout stellte. Immer wieder habe ich auf meine Vergesslichkeiten hingewiesen. Danach stürzte ich in eine Depression ab und besuchte auf Rat meiner Hauärztin eine Psychotherapie, die mir sehr geholfen hat. Im Jahr 2020 habe ich mich auf eigene Initiative hin bei einem Neurologen vorgestellt, in diesem Jahr erhielt ich die Diagnose. Nach dieser Odyssee war ich froh, dass etwas gefunden wurde und ich mir nicht alles einbilde. So geht es übrigens vielen Betroffenen. Doch die Diagnose selbst war niederschmetternd. Ich bin in ein großes Loch gefallen.
Sie waren als Unternehmerin tätig, sind Ehefrau und Mutter eines 27-Jährigen Sohnes. Welche Erinnerung haben Sie an Ihren letzten Arbeitstag?
Simone: Ich wusste, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Es war wie eine ganz tiefe Ohnmacht, als ich meinen Beruf zum 31.12.2021 vollständig niederlegte. Allen Menschen, mit denen ich beruflich zu tun hatte, habe ich gesagt, dass ich krank bin, ohne zu sagen, dass es Demenz ist. Es gab keine Diskussionen, es wurde akzeptiert und diese Akzeptanz hat es für mich leichter gemacht.
Wie gehen Sie mit den Symptomen um?
Simone: Es gibt gute Tage und es gibt schlechte Tage. An manches, das gestern passiert ist, erinnere ich mich überhaupt nicht, an anderes aber sehr genau. Meine räumliche Orientierung ist nicht gut, ich habe kein Zeitgefühl mehr. Alles, was Routine ist, bietet mir Sicherheit und tut mir gut. Aber ich schaffe es nicht immer, mich an die Routinen zu halten. Ich bin ein sehr aktiver Mensch gewesen und habe wieder zurückgefunden zu meinem alten „Wollen“ – aber eben mit Einschränkungen und Defiziten, die ich jetzt habe. Ich versuche mit Whiteboard und farbigen Magneten eine Tages- und Wochenplanung umzusetzen und zum Beispiel Trink- und Esszeiten einzuhalten. Mit einer „Alexa-Box“ erstelle ich Einkaufs- und andere Listen und lasse mit dieser technischen Hilfe eine permanente Diashow laufen, um mich an schöne private und berufliche Momente zu erinnern. Davon bekommt man ein gutes Gefühl. Dazu koche ich täglich für meinen Mann, auch wenn ich manchmal Zutaten vergesse. Doch dies alles ist wie „Engelchen und Teufelchen“: Das Teufelchen ist mein ureigener Drang nach Aktivität, und das Engelchen flüstert mir zu „Mach‘ weniger Termine!“
Was tut Ihnen persönlich gut?
Simone: Viel Schlaf. Das ist für mich wie Lebenselixier. Fast jeden Tag halte ich meinen Mittagsschlaf. Ich habe außerdem angefangen, Klavierspielen zu lernen, das wollte ich schon immer einmal tun. Mein Klavierlehrer weiß, dass ich eine Demenz habe und er hat viel Geduld mit mir. Ich hoffe, mit dem Klavierspiel die Koordination und Motorik trainieren zu können. Das fördert mich extrem. Auch Singen ist meine große Leidenschaft, hier nehme ich an RESONARE teil. „Singen mit Demenz“ ist ein Projekt der Komischen Oper Berlin.
Sie sagen, Sie möchten nicht „in Watte gepackt“ werden?
Simone: Mir ist es wichtig, dass mich die Menschen nehmen, wie ich bin, mich aber gleichzeitig mit Dingen fordern, die ich noch kann. Eine alte Freundin hat mich zum Beispiel gebeten, ich solle ihre Hochzeit organisieren. Wir freuen uns über alles, was klappt, sagte mir die Freundin, und wenn etwas nicht klappt, stört sie das nicht. Ein anderes Beispiel sind ehemalige Kunden. Noch heute fahre ich zu Seminaren, treffe sie dort und koche für sie. Es ist gut zu wissen, dass sie mir noch vertrauen. Ich möchte mit meinen Fähigkeiten einen Beitrag leisten und ich möchte herausgefordert werden – im Rahmen meiner Möglichkeiten und trotz meiner Defizite. Damit erlebe ich einen gewissen Erfolg und positive Rückmeldung.
Weshalb engagieren Sie sich als Beiratsmitglied bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft?
Simone: Wir möchten Sprachrohr für die Belange von uns Menschen mit Demenz sein. Ob in der Politik, Gesellschaft oder bei Forschungsprojekten wie digiDEM Bayern: Es ist wichtig, mit den Betroffenen zu reden – und nicht über sie.
Was genau wünschen Sie sich von Ihren Mitmenschen, von der Gesellschaft?
Simone: Ich möchte, wie auch die Menschen in meiner Demenzgruppe, nicht stigmatisiert werden. Gesellschaftliche Teilhabe ist für uns sehr wichtig. Warum sollten nicht Arbeitsplätze für jene Menschen mit Demenz geschaffen werden, die noch kommunizieren können? Damit meine ich Arbeitsplätze im Rahmen einer Wiedereingliederung, bei der einfache Routineaufgaben übernommen werden können. Auf diese Weise erhält man das Gefühl, gebraucht zu werden. Denn wir, die Menschen mit Demenz, haben zwar Defizite, aber noch immer Fähigkeiten und Kompetenzen! Es wäre schade, wenn sie ungenutzt blieben.
Verraten Sie uns Ihren größten Wunsch? Simone: Mein größter Wunsch ist der Wunsch nach einem Medikament, das die Erkrankung aufhalten kann. Für mich persönlich gilt: Ich möchte so lange wie möglich fit sein. Und mein dritter Wunsch ist, dass ich mir vielleicht noch einen Hund zulege. Eine Katze habe ich ja schon.
Simone, herzlichen Dank für das Gespräch.
Simone S. war Gast unseres digiDEM Bayern Science Watch LIVE-Webinars „Menschen mit Demenz – ganz persönlich“ am 13.12.2022. Hier geht’s zur Webinaraufzeichnung.