Demenzdiagnosen werden häufig erst sehr spät gestellt, oft zu spät. Doch können Betroffene kostbare Zeit gewinnen – gerade dann, wenn sie fernab von medizinischen Einrichtungen leben, die auf Demenz spezialisiert sind. Denn das Digitale Demenzregister Bayern (digiDEM Bayern), das an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) angesiedelt ist, führt bundesweit erstmalig regionale Bevölkerungsscreenings in ländlichen Regionen durch. Bürgerinnen und Bürger in Bayern können direkt vor Ort ihre Gedächtnisleistung kostenfrei und mit Hilfe eines wissenschaftlichen Kurztests überprüfen lassen. Bislang nutzten 499 Menschen in insgesamt 21 Städten und Gemeinden diese Möglichkeit.
„Ich bin sehr dankbar, dass digiDEM Bayern mit einem Demenz-Screening an uns herangetreten ist“, sagt Stefan Reichold, Bürgermeister von Heiligenstadt in Oberfranken anlässlich eines Demenz-Screeningtages in seiner Marktgemeinde. „Die Aufgaben einer Gemeinde sind sehr vielfältig und breit gefächert. Mit Hilfe von digiDEM Bayern können wir als Gemeinde für die Demenzerkrankung sensibilisieren.“
Bayernweites Netzwerk
digiDEM Bayern kooperiert nicht nur mit Städten, Gemeinden, Pflegestützpunkten oder Fachstellen für pflegende Angehörige. Das Demenz-Forschungsprojekt setzt auf ein tragfähiges bayernweites Netz aus Forschungspartnern und Projektassistenzen, die vor Ort screenen. Eine der Projektassistenzen ist Ottilie Ochs. Sie hat bereits zahlreiche Demenztests in ländlich strukturierten Regionen in Bayern durchgeführt und sagt: „Die Nachfrage bei den Screeningtagen ist sehr groß. Die Menschen wollen sich informieren, weil sie viele Ängste haben. Bei den Screenings können sie sich einen Eindruck über ihren Ist-Zustand verschaffen.“
Stattliche Zahl an bayernweiten Demenztests
Die Volkskrankheit Demenz ist unterdiagnostiziert. Laut einer deutschen Studie haben 60 Prozent der Menschen mit deutlichen Gedächtnisbeeinträchtigungen keine gesicherte Diagnose erhalten. Dies bedeutet, dass viele Betroffene nicht wissen, dass sie an Demenz erkrankt sind. Bisher führte digiDEM Bayern mit seinen Kooperationspartnern in 21 bayerischen Städten und Gemeinden, etwa in den Regierungsbezirken Unterfranken, Oberpfalz und Oberbayern Demenz-Screeningtage durch. „Dabei haben insgesamt 499 Menschen an den kostenlosen Voruntersuchungen teilgenommen. Bei 38,2 Prozent davon lag ein abklärungsbedürftiger Befund vor“, weiß Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Neurologe und einer der Projektleiter von digiDEM Bayern.
„Bei Menschen, die im Demenz-Screening Hinweise auf kognitive Beeinträchtigungen zeigen, empfehlen wir, dringend und zeitnah eine Gedächtnisambulanz, Gedächtnissprechstunde oder Memory-Klinik aufzusuchen und sich dort sorgfältig testen und untersuchen zu lassen“, erklärt der Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Health Technology Assessment (HTA) und Public Health der FAU weiter. Hierzu kann der Hausarzt bzw. die Hausärztin wenn nötig eine Überweisung ausstellen.
Wissenschaftlich anerkannter Kurztest
Allein der digiDEM Bayern-Demenz-Screeningtag in Heiligenstadt und seinen drei Ortsteilen Siegritz, Teuchatz und Hohenpölz stieß auf regen Zuspruch. Innerhalb eines Tages wurden insgesamt 58 Kurztests durchgeführt. In Bad Neustadt, Bad Königshofen und Bischofsheim in Unterfranken ließen sich sogar 132 Bürgerinnen und Bürger die kostenlose Möglichkeit, sich testen zu lassen, nicht entgehen. Zum Einsatz kommt dabei jeweils der sogenannte Montreal Cognitive Assessment-Test (MoCA), ein wissenschaftlich gültiges Verfahren zur Erfassung kognitiver Fähigkeiten, wie etwa dem Kurzzeitgedächtnis.
Beratungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen
Im unterfränkischen Landkreis Rhön-Grabfeld ist der Stellenwert des Demenzscreenings bekannt. Hierzu sagt Manuel Kalla, Abteilungsleiter kommunale und soziale Angelegenheiten des Landkreises Rhön-Grabfeld: „Die Früherkennung bietet die Chance, rechtzeitig Beratungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen zu können und erleichtert so das Leben mit Demenz.“
Forschungsprojekt mit Praxisrelevanz
Im Rahmen einer Studie befragt digiDEM Bayern mit tatkräftiger Unterstützung der Forschungspartner und Projektassistenzen seit Januar 2021 Menschen mit kognitiven Einschränkungen sowie pflegende An- und Zugehörige. Ziel ist es, mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse die Lebensbedingungen der Betroffenen zu verbessern und ihnen digitale Unterstützungsangebote bereitzustellen.
Als die Wissenschaftler/-innen im November 2022 den 1.000 Studienteilnehmenden zählten, sagte Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek: „Ich freue mich sehr, dass so viele Bürgerinnen und Bürger aktiv am Forschungsprojekt teilnehmen.“ Er unterstrich: „Menschen mit Demenz brauchen unsere volle Aufmerksamkeit. Deshalb unterstützen wir im Rahmen der Bayerischen Demenzstrategie die Versorgungsforschung von digiDEM Bayern. digiDEM Bayern leistet einen innovativen, digitalen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen mit Demenz und ihren pflegenden An- und Zugehörigen.“
„Wissen, was wirklich nötig ist“
„Durch die Versorgungsforschung, wie digiDEM Bayern sie betreibt, wird eine wissenschaftliche Evidenz im Bereich der Demenz geschaffen, die eine Grundlage für zukünftige Versorgungs- und Unterstützungsangebote schafft“, erläutert Sabine Wenzel-Geier, die Leiterin des Pflegestützpunktes Rhön-Grabfeld. „digiDEM Bayern sorgt auch dafür, dass wir zukünftige Angebote nicht an der Zielgruppe vorbei initiieren und Wissen darüber erlangen, was wirklich nötig ist.“
Unser Hinweis für Leserinnen und Leser
Wer bei Hinweisen auf leichte kognitive Einschränkungen seine Gedächtnisleistung in Bayern umfangreich überprüfen lassen möchte, kann sich an eine entsprechende diagnostische Einrichtung (Gedächtnisambulanz, Gedächtnissprechstunde oder Memory Klinik) in seiner Nähe wenden. Eine Übersicht findet sich hier.
Wer als Mensch mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen oder einer leichten Demenz am digiDEM Bayern-Forschungsprojekt teilnehmen und zur Demenzforschung beitragen möchte, kann sich hier informieren und beraten lassen.
Sehen Sie sich auch unsere Videos vom Demenz-Screeningtag im Landkreis Rhön-Grabfeld an.
Bei den Demenz-Screeningtagen arbeitet digiDEM Bayern eng mit seinen Partnern zusammen. Sabine Wenzel-Geier, die Leiterin des Pflegestützpunktes Rhön-Grabfeld, freut sich über die gewinnbringende Kooperation und über das Engagement der jungen digiDEM Bayern-Wissenschaftler*innen bei den Demenzscreenings vor Ort.
Für Manuel Kalla, Regierungsrat und Abteilungsleiter kommunale und soziale Angelegenheiten des Landkreises Rhön-Grabfeld, besitzt das Thema Demenz-Früherkennung einen großen Stellenwert. Er schätzt es, dass digiDEM Bayern den Fokus auf den ländlichen Raum legt.
Laut einer deutschen Studie haben ca. 60 Prozent der Menschen mit deutlichen Gedächtnisbeeinträchtigungen keine gesicherte Diagnose erhalten. Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Neurologe und einer der Projektleiter von digiDEM Bayern, erklärt beim Demenz-Screeningtag im Landkreis Rhön-Grabfeld, warum Demenz-Screening gerade in ländlichen Regionen von Bedeutung ist.