Wie sich soziale Isolation und Einsamkeit auf Menschen auswirken können, haben die vergangenen Monate mit den Corona-Kontaktbeschränkungen auf teils dramatische Weise gezeigt. Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass sozial isolierte oder einsame Menschen ein höheres Risiko haben, eine Demenzerkrankung zu entwickeln. Ein Forschungsteam aus Florida und Frankreich hat diesen Zusammenhang in der nach eigenen Angaben bislang größten Studie bestätigt.
Angela R. Sutin und ihre Kolleg*innen haben ihre Ergebnisse, die vor kurzem in der Zeitschrift The Journals of Gerontology erschienen sind, bereits 2018 veröffentlicht. Die Wissenschaftler*innen wollten herausfinden, ob Einsamkeit mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden ist und prüfen, welche Rolle Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand, ethnische Zugehörigkeit und erbliche Anlagen spielen. Zunächst beschreiben die Autor*innen, welche negativen Auswirkungen soziale Isolation auf die Gesundheit insgesamt haben können. Sie könne zu gesundheitsschädlichem Verhalten führen (z.B. Rauchen oder Bewegungsmangel), zu körperlichen Erkrankungen (z.B. Bluthochdruck oder Diabetes) und zu psychischen Belastungen (z.B. Depressionen). All diese Punkte lassen sich den Forscher*innen zufolge auch mit einem erhöhten Demenzrisiko in Verbindung bringen.
Gefühl der Einsamkeit kann unabhängig von sozialen Kontakten bestehen
Den Fokus ihrer Untersuchung legten die Autor*innen jedoch auf die persönliche Erfahrung der sozialen Isolation: das Gefühl der Einsamkeit. Dies sei in früheren Studien als ein Schlüsselfaktor erkannt worden. Dabei sei festgestellt worden, dass der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Demenz unabhängig von der Anzahl der sozialen Kontakte bestand. Dies deute darauf hin, dass selbst bei Personen, die relativ häufigen sozialen Austausch haben, persönliche Gefühle der Isolation das Risiko für eine Demenz steigern.
Separate Fragebögen zu sozialer Isolation und Einsamkeit
Für ihre Untersuchung wertete das Team die Angaben von 12.030 Frauen und Männern aus einer großangelegten US-amerikanischen Gesundheitsstudie aus, der “Health and Retirement Study”. Bei den Teilnehmenden handelte es sich um Frauen und Männer ab dem Alter von 50 Jahren, die zu Studienbeginn nicht an Demenz erkrankt waren. Sie berichteten anhand von separaten Fragebögen über Einsamkeit und soziale Isolation. In Bezug auf Einsamkeit beantworteten sie zum Beispiel Fragen wie “Fehlt Ihnen Gesellschaft?” oder “Fühlen Sie sich isoliert?” auf einer Skala von “häufig” bis “selten oder nie”. Die soziale Isolation erhoben die Forscher*innen durch Fragen nach vorhandenen Ehepartnern, Kindern, anderen Familienangehörigen und Freunden sowie nach der Häufigkeit dieser Kontakte.
Geistige Fähigkeiten per Telefon-Interview untersucht
Zudem erhielten die Autor*innen Informationen über körperliche Erkrankungen, psychologische Belastungen und erbliche Risikofaktoren. Die geistigen Fähigkeiten der Teilnehmenden wurden alle zwei Jahre mittels eines Telefon-Interviews überprüft, und zwar über zehn Jahre hinweg. Dabei sollten sich die Befragten zum Beispiel Wörter merken, rückwärts zählen oder eine Zahlenfolge subtrahieren.
Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Demenz
Die gewonnenen Informationen setzte das Forschungsteam zueinander in Beziehung und fand einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Demenz: So hatten die Teilnehmenden, die sich einsam fühlten, ein um 40 Prozent erhöhtes Demenzrisiko. Überraschend waren die Ergebnisse in Bezug auf soziale Isolation: Ausgerechnet in der Gruppe mit den meisten sozialen Kontakten war Einsamkeit sogar mit einem um über 50 Prozent erhöhten Demenzrisiko verbunden. Dies zeigt den Autor*innen zufolge, wie wichtig es ist, neben dem Ausmaß der sozialen Kontakte auch die persönlichen Gefühle im Blick zu haben, um die am stärksten gefährdeten Personen in Bezug auf Einsamkeit und ein möglicherweise erhöhtes Demenzrisiko zu erkennen.
Demographische Faktoren spielten kaum eine Rolle – bis auf das Alter
Die demographischen Faktoren Geschlecht, Bildung, ethnische Zugehörigkeit und Veranlagung zeigten in der Studie nur geringe Auswirkungen. Anders war es beim Faktor Alter: So hatten jüngere Teilnehmende, die sich einsam fühlten, ein etwas höheres Demenzrisiko als ältere.
Einsamkeit als veränderbarer Risikofaktor
Depressive Symptome verstärkten den Zusammenhang zwischen Demenz und Einsamkeit eher als körperliche Erkrankungen oder gesundheitsschädliches Verhalten. Doch wie könnten Lösungen aussehen? Studien zufolge kann beispielsweise soziales Engagement geistig stimulierend sein, das Gefühl der Sinnhaftigkeit des Lebens steigern und den Austausch mit anderen Menschen fördern. Dies könne dazu beitragen, die Gehirngesundheit zu fördern und das Risiko schwerer geistiger Beeinträchtigungen zu senken, so die Autor*innen. Sie betonen daher, dass Einsamkeit ein veränderbarer Faktor sei, bei dem man eingreifen könne, um das Demenzrisiko zu verringern – auch mit Hilfe von finanzieller und institutioneller Unterstützung.
Die Studie finden Sie hier:
Loneliness and Risk of Dementia (Jul 2020)