In der fünften Ausgabe unseres Sonder-Newsletters SCHLAGLICHT – Neue Medikamente gegen Demenz befasst sich Anne Keefer, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei digiDEM Bayern, mit der Veröffentlichung einer internationalen Gruppe von Forschenden um Prof. Alberto J. Espay von der University of Cincinnati. In dem Artikel mit dem Titel Recalibrating the Risk-Benefit Profiles of Lecanemab and Donanemab: Scales, Immunoreactivity, and Changes in Amyloid-β42, der in der Fachzeitschrift Journal of Alzheimer’s Disease erschienen ist, geht es um das Nutzen-Risiko-Verhältnis der neuen monoklonalen Antikörper zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung (DOI: 10.3233/JAD-240171).
Lecanemab und Donanemab sind sogenannte monoklonale Antikörper zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis dieser medikamentösen Behandlungsmaßnahmen wird aktuell in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Dabei gibt es einige Kritikpunkte an der methodischen Durchführung der Zulassungsstudien und auch die Interpretationen der Forschungsergebnisse werden kritisch hinterfragt
Lesen Sie jetzt den Beitrag von Anne Keefer:
Kritik an der methodischen Durchführung
‚Amyloid-related Imaging Abnormalities‘ (ARIA) beschreiben akut auftretende, krankhafte Veränderungen des Gehirns, welche bei ca. 40% der mit den monoklonalen Antikörpern behandelten Alzheimer-Patienten beobachtet werden können. In bildgebenden Verfahren werden ARIA als Hirnödeme oder Mikroblutungen sichtbar. Sobald sich bei einem Studienteilnehmenden eine derartige Auffälligkeit gezeigt hatte, wurde die Medikation mit den monoklonalen Antikörpern eingestellt und eine häufigere Bildgebung empfohlen. Diese Vorgehensweise führte dabei zu einer Abweichung vom Studienprotokoll, in dem bereits vor Beginn der Studie die Medikation als auch die Häufigkeit der bildgebenden Diagnostik genau festgelegt wurden. Da die Studienteilnehmenden, ihre An- und Zugehörigen, die beteiligten Studienärzte sowie Studienmitarbeitende die Abweichungen bemerken konnten, könnten Rückschlüsse daraus gezogen worden sein, wer von den Probanden sich in der Behandlungsgruppe und wer sich der Kontrollgruppe befand. Die sogenannte Verblindung, also das Unwissen aller Beteiligten über die Zuteilung der Probanden zu Behandlungs- und Kontrollgruppe, ist speziell bei klinischen Studien ein wichtiges Charakteristikum, damit Forschungsergebnisse nicht bewusst oder unbewusst beeinflusst werden.
Demzufolge sei fraglich gewesen, ob die Probanden und das Forschungsteam tatsächlich nicht wussten, welcher Gruppe die Teilnehmenden angehörten. Das bedeutet: Die Verblindung könnte eingeschränkt gewesen sein – bestimmte Fragen seitens der Studienteilnehmenden und die Bewertung von Angaben durch das Forschungsteam wären damit nicht mehr unbeeinflusst und könnten infolge des gewonnenen Wissens zu einer Überschätzung der Wirksamkeit der monoklonalen Antikörper geführt haben.
Bezüglich der Verblindung weist Prof. Alberto J. Espay darüber hinaus auf einen weiteren Kritikpunkt hin. So erhielt die Kontrollgruppe statt der monoklonalen Antikörper eine Kochsalzlösung. Diese ruft allerdings keine Immunreaktion hervor, wie die monoklonalen Antikörper bei den Studienteilnehmenden der Behandlungsgruppe. Espays Fazit lautet also: Zumindest angesichts methodischer Mängel sei der wissenschaftliche Nachweis des Nutzens von monoklonalen Antikörpern fragwürdig.
Die Erhebungsinstrumente sind entscheidend
In den Studien wurden die kognitiven Fähigkeiten der Probanden mit unterschiedlichen Instrumenten gemessen. So sind zum Beispiel der ‚Mini-Mental-Status-Test‘ (MMST) und die ‚Alzheimer’s Disease Assessment Scale–Cognitive Subscale‘ (ADAS-Cog13) objektive Skalen zur Erfassung der kognitiven Fähigkeiten. Ein anderes Beurteilungsinstrument ist hingegen die ‚Clinical Dementia Rating Scale – Sum of Boxes’ (CDR-SB). Hierbei führen Studienmitarbeitende mit dem Probanden und einem An- oder Zugehörigen ein Leitfaden-gestütztes Interview durch. Diese Art der Erhebung führt zu einer subjektiveren Bewertung der kognitiven Fähigkeiten als beim MMST oder dem ADAS-Cog13.
Es fällt auf, dass bei den objektiveren Erhebungsinstrumenten wie dem MMST und dem ADAS-Cog13 die klinische Relevanz der gemessenen Ergebnisse – also die Wirkstärke der medikamentösen Behandlung – weniger bedeutsam war als bei der subjektiveren Erhebungsform. Die Autoren um Prof. Alberto J. Espay vermuten, dass durch die unvollständige Verblindung die Wirkstärke der medikamentösen Behandlung bei der Erhebung mit einem subjektiven Erhebungsinstrument (CDR-SB) fälschlicherweise stärker ist. Dies kann zum einen darin begründet sein, dass Probanden, die annehmen, eine medikamentöse Behandlung zu erhalten, eher von besseren kognitiven Fähigkeiten berichten als Personen, die davon ausgehen, keine Behandlung zu erhalten. Zum anderen kann es sein, dass die Studienmitarbeitenden die kognitiven Fähigkeiten von Teilnehmenden, bei denen sie die medikamentöse Behandlung vermuten, besser bewerten als bei Personen, die sie in der Kontrollgruppe ohne medikamentöse Behandlung zu wissen glauben.
Neubewertung der Studienergebnisse nötig
Basierend auf den dargestellten Kritikpunkten an der Studienmethodik drei relevanter Zulassungsstudien müssen, so Prof. Alberto J. Espay und Kollegen, die Studienergebnisse neu eingeordnet und somit das Risiko-Nutzen-Verhältnis der monoklonalen Antikörper kritisch hinterfragt werden.