In der vierten Ausgabe unseres neuen Sonder-Newsletters SCHLAGLICHT – Neue Medikamente gegen Demenz befasst sich Florian Weidinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei digiDEM Bayern, mit der Veröffentlichung The affordability of lecanemab, an amyloid-targeting therapy for Alzheimer’s disease: an EADC-EC viewpoint des Forschungsteams um Professor Linus Jönsson vom Karolinska Institutet in Schweden. 

In dem in der Fachzeitschrift The LANCET Regional Health erschienenen Artikel geht es um die Fragen, welche Kosten für die Versorgung mit dem Medikament Lecanemab in Europa anfallen könnten und welche Konsequenzen dies für die Gesundheitsversorgung haben könnte (DOI: 10.1016/j.lanepe.2023.100657).

Lesen Sie jetzt den Beitrag von Florian Weidinger:

Lecanemab: Das neue Heilmittel gegen Demenz?

Bereits seit Jahrzehnten unternehmen Pharmaunternehmen große Anstrengungen, um krankheits-modifizierende Behandlungen und Medikamente für die Alzheimer-Krankheit zu erforschen und zu entwickeln. Nachdem bereits mehrere Medikamente zur Behandlung von Eiweißablagerungen im Gehirn durch die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) in Europa nicht zugelassen wurden, war ein neuer „Hoffnungsträger“ auf der Bildfläche erschienen: das Medikament „Lecanemab“. Auch dieser wurde jedoch am 25. Juli 2024 von der EMA nicht zugelassen. Bedenken gab es dabei nicht nur wegen der Wirksamkeit und den Nebenwirkungen dieser Behandlung, sondern auch aufgrund der Kosten.

Was kostet das neue Medikament?

In den USA veranschlagen die Hersteller „Biogen“ und „Eisai“ jährliche Kosten der Behandlung von 26.500 US$ (ca. 24.750€) pro Patientin und Patient. Wie die Forschergruppe von internationalen Gesundheitsökonomen um Prof. Linus Jönsson berechnet hat, kommen – bei einer vorsichtigen Schätzung – in den 27 Ländern der Europäischen Union etwa 5,4 Millionen Menschen für die Behandlung mit „Lecanemab“ in Frage. Wenn man für Europa von ähnlichen Kosten pro Behandlung wie in den USA ausgeht, würde die Behandlung aller in Frage kommenden Patienten rund 133 Milliarden Euro kosten. Zum Vergleich: Der Gesamtwert des Arzneimittelmarktes der EU lag im Jahr 2021 bei insgesamt 255 Milliarden Euro. Eine Behandlung mit Lecanemab bei allen potenziellen Patientinnen und Patienten würde dann mehr als die Hälfte aller Gesamtausgaben für Arzneimittel in der EU betragen.

Ist der hohe Preis gerechtfertigt?

Aufgrund dieser hohen Kosten stellt sich natürlich die Frage: Wie kosteneffektiv ist die Behandlung mit „Lecanemab“ – rechtfertigt die mögliche Wirkung diese hohen Kosten? Hier lautet die Einschätzung der Forschenden um Prof. Linus Jönsson, dass „die Preisgestaltung im Verhältnis zu den bisher nachgewiesenen gesundheitlichen Vorteilen wahrscheinlich unangemessen ist“. Angemessene jährliche Kosten für die bisher nachgewiesene Wirksamkeit würden für die Autoren bei rund 8.104 Euro liegen – in etwa einem Drittel der bisher veranschlagten Kosten.

Förderung der Ungerechtigkeit und Ungleichheit in Europa?

Neben der fraglichen Kosteneffektivität befürchten die Forschenden auch, dass die Einführung von „Lecanemab“ die bereits vorhandenen Ungleichheiten in Europa bezüglich der Gesundheitsversorgung noch weiter verstärken könnte. Die Versorgungsstruktur für Menschen mit Demenz sowie die Kosten der Demenzversorgung unterscheiden sich in Europa erheblich, sowohl zwischen als auch innerhalb der Länder der Europäischen Union. Der hohe Preis könnte das Medikament für Patienten in einigen europäischen Ländern und Regionen unerschwinglich machen. Dementsprechend hätte die Einführung von „Lecanemab“ den unerwünschten Effekt, dass die gesundheitliche Chancengleichheit in Europa entgegen der formulierten Ziele der EU und der WHO eher geschwächt statt gestärkt wird.

Jönsson L, Wimo A, Handels R, Johansson G, Boada M, Engelborghs S, Frölich L, Jessen F, Kehoe PG, Kramberger M, de Mendonςa A, Ousset PJ, Scarmeas N, Visser PJ, Waldemar G, Winblad B. The affordability of lecanemab, an amyloid-targeting therapy for Alzheimer’s disease: an EADC-EC viewpoint. Lancet Reg Health Eur. 2023 May 22;29:100657. doi: 10.1016/j.lanepe.2023.100657. PMID: 37251789; PMCID: PMC10220264.

Hier geht es zum Artikel von Prof. Linus Jönsson.

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